BGH, Urteil v. 7.12.2017 – IX ZR 45/16
Leitsatz:
Wird der Anwalt als Erfüllungsgehilfe eines Beraters tätig, haftet er dem Vertragspartner des Geschäftsherrn in der Regel nicht.
Sachverhalt:
Die Klägerin (K) beabsichtigte, in Rumänien eine Milchviehanlage zu erwerben, zu modernisieren und zu erweitern und dazu EU-Fördermittel in Anspruch zu nehmen. Sie schloss mit einer Beratungsgesellschaft (BG) einen Vertrag, nach welchem diese sie bei dem Vorhaben gegen ein Erfolgshonorar von 1,2 Mio. € zuzüglich Umsatzsteuer beraten und unterstützen sollte. Die anwaltliche Beratung sollte nach diesem Vertrag ausschließlich durch den Beklagten Rechtsanwalt (R) erfolgen, welcher durch die BG "beauftragt" wurde.
Die Klägerin schloss sodann einen Darlehensvertrag mit einer Bank (B) mit Sitz in London. Die Gesamtinvestitionssumme von 15.570.000 € sollte zu 45 % aus nicht rückzahlbaren EU-Fördermitteln stammen und zu 45 % mit einem Kredit der B finanziert werden. Voraussetzung der Auszahlung des Darlehens war der Erwerb von Geschäftsanteilen an der B. Der Eigenanteil der Klägerin von 10 % sollte mit Hilfe eines Eigenwechsels der Klägerin aufgebracht werden. Der Beklagte eröffnete ein Anderkonto, auf welches die Klägerin Beträge von 116.025 € für Wechselspesen und 78.750 € für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen an der B überwies. Auf Weisung der B leitete der Beklagte das Geld an einen Dritten weiter. Wenige Tage später wurde ein Darlehensvertrag zwischen der Klägerin und der B geschlossen. Die Darlehensvaluta wurden nicht ausgezahlt. Auch die Fördermittel wurden nicht bewilligt. Die Klägerin verwirklichte ihr Projekt anderweitig.
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die K vom beklagten R Rückzahlung der auf das Anderkonto überwiesenen 194.775 € nebst Zinsen. Sie hat behauptet, mit dem Beklagten vereinbart zu haben, dass das Geld erst dann an die B weitergeleitet werden dürfe, wenn die Fördermittel bewilligt und das Darlehen ausgezahlt worden seien.
Entscheidung:
Ein Anspruch Anspruch der K gegen R aus einem eigenständigen Vertrag (Rechtsanwaltsvertrag, Treuhandvertrag oder entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag) scheiden mangels dahingehenden Parteiwillens aus.
Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen K scheidet aus, weil im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB das Vermögen als solches keinen Schutz erfährt. Bei einer Straftat (etwa 266 StGB) kommt § 823 Abs. 2 BGB in Betracht.
Der BGH geht der Frage nach, ob sich ein Anspruch des K gegen R aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ergibt. Der Zwischen der BG und R geschlossene Vertrag könnte Schutzwirkung für K entfalten.
Voraussetzungen des Anspruchs aus VSD
(1) Bestimmungsgemäße Leistungsnähe des Dritten
Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der Vertragsleistung in Berührung kommen und den Gefahren von der Vertragserfüllung ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger
(2) Gläubigernähe des Dritten
Der Gläubiger muss ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben
(3) Erkennbarkeit der Leistungs- und Gläubigernähe
Für den Schuldner müssen Leistungs- und Gläubigernähe des Dritten erkennbar und zumutbar sein.
(4) Schutzbedürfnis des Dritten
Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes muss ein Bedürfnis bestehen. Dieses entfällt insbesondere, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die den identischen oder zumindest gleichwertigen Inhalt haben.
Der BGH entscheid, dass der zwischen der BG und R bestehende Anwaltsvertrag keine drittschützende Wirkung gegenüber K entfalte. R sei nur aufgrund des mit der BG geschlossenen Vertrags tätig geworden. Allein diese ist für die anwaltliche Beratung und Durchführung des Projekts der K verantwortlich. R sei deshalb lediglich als Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) der BG tätig geworden. Für einen eigenständigen Anspruch der K gegen R nach den Grundsätzen des VSD fehle eine entsprechende Schutzbedürftigkeit der K, weil ihr wegen § 278 BGB vertragliche Ansprüche (§§280 I, 278 BGB) gegen die BG zustünden.
„Auch Verträge über anwaltliche Leistungen können Schutzwirkungen für Dritte entfalten. Voraussetzung der Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages ist, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der vom Anwalt geschuldeten Leistung in Berührung kommt, dass der Vertragspartner des Anwalts ein eigenes Interesse an der Einbeziehung des Dritten hat, dass der Anwalt die Leistungsnähe des Dritten und das Einbeziehungsinteresse seines Vertragspartners erkennen kann und dass der Dritte wegen des Fehlens eigener Ansprüche schutzbedürftig ist. Ausgeschlossen ist ein zusätzlicher Rechtsschutz regelmäßig dann, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt. Ob der Anspruch finanziell durchsetzbar ist, ist unerheblich. Durch die Einbeziehung des Dritten ändern sich die Pflichten nicht, welche der Anwalt dem Mandanten gegenüber übernommen hat.
[…]
Die Klägerin ist nicht schutzbedürftig. Ihr steht wegen der von ihr beanstandeten Beratungsfehler gegebenenfalls ein Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft [BG] zu, als deren Erfüllungsgehilfe der Beklagte tätig war.
[…]
Die Gesellschaft hatte die Beratung und Unterstützung der Klägerin im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Erwerb der Milchviehanlage in Rumänien einschließlich der Finanzierung und der Beantragung der Fördermittel übernommen. Der Beklagte war nicht Partei dieses Vertrages. Dem Vertrag zwischen der Klägerin und der Gesellschaft zufolge sollte der Beklagte „die anwaltliche Beratung bezüglich der Vertragsgestaltung des Projekts“ übernehmen, jedoch nicht aufgrund eines mit der Klägerin geschlossenen Anwaltsvertrages, sondern aufgrund eines Auftrags der Gesellschaft. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung war die rechtliche Beratung also nicht ausschließlich vom Beklagten geschuldet. Der Beklagte hatte zwar alle auftretenden rechtlichen Fragen zu klären und die Verträge zu gestalten. Im Verhältnis zur Klägerin schuldete jedoch ausschließlich die Gesellschaft die genannten Leistungen. Dem eigenen Vortrag der Klägerin nach bezahlte die Gesellschaft die Beratungsleistungen, die der Beklagte zu erbringen hatte; sie gab diese Kosten im Rahmen des ihr zustehenden Honorars an die Klägerin weiter.
Gemäß § 278 S. 1 BGB hat der Geschäftsherr ein Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden. Berücksichtigten die Verträge, welche die von der Gesellschaft unterstützte und beratene Klägerin im Zusammenhang mit der Finanzierung schloss, nicht hinreichend die Interessen der Klägerin, sahen sie etwa ungesicherte Vorleistungen vor, war der Rückzahlungsanspruch der Klägerin im Falle eines Scheiterns des Antrags auf Fördermittel oder des Darlehensvertrages nicht hinreichend gesichert oder war der Vertragspartner erkennbar unseriös, hat die Gesellschaft für daraus entstandene Schäden einzustehen. Gleiches gilt, wenn die Beratungsleistungen der Gesellschaft unzulänglich waren, etwa weil sie die Klägerin nicht über die mit den ungesicherten Vorleistungen oder der fehlenden Absicherung des Rückzahlungsanspruchs verbundenen Risiken aufgeklärt hat. Eines zusätzlichen Anspruchs gegen den Beklagten als den Erfüllungsgehilfen der Gesellschaft bedarf es nicht. Nach allgemeinen Grundsätzen haftet der Erfüllungsgehilfe dem Vertragspartner seines Geschäftsherrn nicht unmittelbar. Das gilt auch dann, wenn der Vertragspartner den Erfüllungsgehilfen mit ausgewählt hat oder sich – wie hier – ausdrücklich mit dem Einsatz eines bestimmten Erfüllungsgehilfen einverstanden erklärt hat.“
Nicht weiter thematisiert hat der BGH die Frage, ob R der K nicht aus einem eigenen Schuldverhältnis aus den §§ 311 III, 241 II BGB haftet, weil er Vermögensbetreuungspflichten gegenüber K übernommen hat. Im Ergebnis scheint der BGH eine solche Haftung freilich nicht zu wollen. Erkennbar möchte er die Relativität von Schuldverhältnissen und die daraus folgende Haftungsverteilung im vorliegenden Fall nicht durchbrechen.