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Kaufrecht: Schadensersatz bei Ebay-Missbrauch

BGH, Urt. v. 22.5.2019, Az. VIII ZR 182/17

Sachverhalt: 

 

Der Beklagte bot Ende März/Anfang April 2012 einen Pirelli-Radsatz für einen Audi A6 mit einem Startpreis von 1 Euro auf der Internet-Plattform eBay zum Verkauf an. Er beendete die Auktion vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger Höchstbietender mit einem Gebot von 201 Euro. Nach den seinerzeit geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay kam ein Kaufvertrag mit dem Höchstbietenden auch bei vorzeitiger Beendigung der Auktion zustande, es sei denn, der Anbieter war zur Rücknahme des Angebots „gesetzlich“ berechtigt. Der Beklagte hat geltend gemacht, der Radsatz sei aus der Garage des Zeugen R entwendet worden, wovon er, der Beklagte, erst unmittelbar vor dem Abbruch der Auktion erfahren habe.

 

Der Kläger hatte seit dem Jahr 2009 in großem Umfang Gebote bei eBay-Auktionen abgegeben. Mit E-Mail vom 4.4.2012 forderte der Kläger den Beklagten vergeblich auf, den angebotenen Radsatz, dem er zuletzt einen Wert von mindestens 1701 Euro zugemessen hatte, gegen Zahlung von 201 Euro herauszugeben. Mit Schreiben vom 24.1.2013 trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und forderte Schadensersatz.

 

Die auf Zahlung von 1500 Euro nebst Zinsen gerichtete Klage hatte vor dem AG Strausberg (Urt. v. 3.11.2016 – 9 C 246/15) dem Grunde nach Erfolg. Das LG Frankfurt (Oder) (Urt. v. 19.7.2017 – 16 S 168/16) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten hatte ebenfalls keinen Erfolg.

 

Entscheidung:

 

Der BGH wies die Revision des beklagten Verkäufers nun ebenfalls zurück. Dem Anspruch des Klägers aus §§ 280 I, 3, 281 I BGB könne der Beklagte den Einwand des Rechtsmissbrauchs aus § 242 BGB nicht entgegenhalten. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten komme bei Abbruchjägern zwar in Betracht – der Kläger habe sich aber nicht als Abbruchjäger, sondern vielmehr als Schnäppchenjäger betätigt.

 

"Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und muss auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben (BGH, NJW 2015, 548 Rn. 11; BGHZ 68, 299 [304] = NJW 1977, 1234). Die Beurteilung, ob das Verhalten eines Bieters auf der Internet-Plattform eBay, der an einer Vielzahl von Auktionen teilgenommen hat, als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, ist in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten. Sie kann vom RevGer. nur darauf überprüft werden, ob das BerGer. den Sachverhalt rechtsfehlerfrei festgestellt, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt sowie den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat und ob seine Wertung gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt (Senat, NJW 2017, 1474 Rn. 20; BGHZ 204, 145 = NJW 2015, 1087 Rn. 16 mwN). Ein solcher Rechtsfehler ist dem BerGer. indes nicht unterlaufen.

 

b) Wie auch die Revision nicht verkennt, ist es für sich genommen nicht zu beanstanden, dass ein Bieter sich als so genannter Schnäppchenjäger betätigt, der bei Internetauktionen gezielt auf Waren bietet, die zu einem weit unter Marktwert liegenden Mindestgebot angeboten werden. Ebensowenig ist es missbilligenswert, wenn ein solcher Bieter sein Höchstgebot auf einen deutlich unter dem Marktwert der Ware liegenden Betrag begrenzt. Denn es macht gerade den Reiz einer solchen Internetauktion aus, dass der Bieter die Chance hat, den Auktionsgegenstand zu einem Schnäppchenpreis zu erwerben, während umgekehrt der Veräußerer die Chance wahrnimmt, durch den Mechanismus des Überbietens einen für ihn vorteilhaften Preis zu erzielen (vgl. Senat, NJW 2012, 2723 Rn. 20 f.; NJW 2015, 548 Rn. 10). Im Übrigen ist es der Verkäufer, der in solchen Fällen von sich aus durch die Wahl eines niedrigen Startpreises unterhalb des Marktwerts ohne Einrichtung eines Mindestpreises das Risiko eines für ihn ungünstigen Auktionsverlaufs eingegangen ist (Senat, NJW 2015, 548 Rn. 12 mwN). An der Beurteilung dieser Ausgangslage ändert sich auch dann nichts, wenn ein Bieter sich in einer Vielzahl von Fällen solche für den Verkäufer riskanten Auktionsangebote zunutze macht, um ein für ihn günstiges „Schnäppchen“ zu erzielen, weil allein die Quantität eines von der Rechtsordnung im Einzelfall gebilligten Vorgehens in der Regel nicht zu dessen Missbilligung führt.

 

c) Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Bieters bei Internetauktionen kommt dagegen, wovon das BerGer. zutreffend ausgegangen ist, dann in Betracht, wenn seine Absicht von vornherein nicht auf den Erfolg des Vertrags, sondern auf dessen Scheitern gerichtet ist, er also den angebotenen Gegenstand gar nicht erwerben will, sondern auf den Abbruch der Auktion abzielt, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können (sog. Abbruchjäger).

 

Allerdings lassen sich abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als „Abbruchjäger“ in diesem Sinne zuließen, nicht aufstellen. Es hängt vielmehr von der dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände ab, ob die jeweils vorliegenden Indizien einen solchen Schluss tragen.

 

Auch insofern ist die Beurteilung des BerGer. aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das BerGer. hat sich nicht die Überzeugung davon verschaffen können, dass eine entsprechende, nicht auf Vertragsdurchführung, sondern auf den Abbruch und somit das Scheitern des Vertrags gerichtete Absicht beim Kl. vorhanden gewesen ist. Das BerGer. hat die Angaben des Zeugen S sowie die des Kl. bei seiner Anhörung sowie ersichtlich alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls gewürdigt.

Soweit die Revision geltend macht, verschiedene – vom BerGer. ausdrücklich gewürdigte – Umstände (Gesamtsumme der gebotenen Geldbeträge, Anzahl der Gegenstände, auf die ein Gebot abgegeben worden sei, Zeitablauf bis zur gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs im vorliegenden Fall) ließen zumindest insgesamt den Schluss darauf zu, dass es dem Kl. nur um das Scheitern des Vertrags und daraus resultierende Schadensersatzansprüche gegangen und er in diesem Sinne ein „Abbruchjäger“ gewesen sei, setzt sie lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung des BerGer., zeigt aber einen Rechtsfehler nicht auf. Das Gleiche gilt für weitere von der Revision herangezogene, vom BerGer. nicht ausdrücklich erörterte Einzelumstände (Gebote vornehmlich auf hochpreisige Gegenstände, regelmäßige Benennung derselben Zeugen in verschiedenen Gerichtsverfahren, an denen der Kl. als Partei beteiligt gewesen sei).

 

aa) Ohne Erfolg macht die Revision (unter Bezugnahme auf ein vom LG Darmstadt, Urt. v. 21.11.2014 – 24 S 53/14 aufgehobenes Urteil des AG Groß-Gerau v. 16.7.2014 – 62 C 26/14) geltend, ein Rückschluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Bekl. sei bereits aus der Vielzahl seiner Gebote zu ziehen, weil bei normalem Verlauf der Auktionen nicht damit gerechnet werden könne, dass er die Gesamtsumme seiner Gebote tatsächlich werde aufbringen können.

 

Insoweit hat das BerGer. bei seiner Würdigung – rechtsfehlerfrei – darauf abgestellt, dass die Gesamtsumme der gebotenen Geldbeträge schon deswegen unerheblich ist, weil ein Bieter bei der Abgabe von weit unter dem Marktwert liegenden Höchstgeboten regelmäßig überboten wird, bei der Auktion dann nicht zum Zuge kommt und demzufolge auch den angebotenen Preis nicht zu entrichten hat. Er muss bei einem normalen Verlauf der Auktionen daher gerade nicht damit rechnen, die Gesamtsumme seiner Angebote auch aufbringen zu müssen. Wie das BerGer. zu Recht angenommen hat, zielt seine Vorgehensweise stattdessen in einer den Internetauktionen immanenten und nicht zu missbilligenden Weise darauf ab, bei einer geringen Anzahl von Auktionen, dann aber zu einem für ihn aufbringbaren „Schnäppchenpreis“, zum Zuge zu kommen.

 

Aus demselben Grund kann – entgegen der Auffassung der Revision – insoweit auch nicht von einem Vortäuschen einer tatsächlich nicht vorhandenen Leistungsfähigkeit des Kl. als Bieter ausgegangen werden. Das BerGer. hat im Gegenteil vielmehr festgestellt, dass der Kl. die Artikel, auf die er – erfolgreich – geboten hat, auch jeweils abgenommen hat. Zudem hat er nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen in einigen Fällen – nach einem vorzeitigen Abbruch der Auktion – sogar im Vergleichsweg einen höheren als den von ihm gebotenen Preis dafür gezahlt.

 

Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, das BerGer. habe die Beiziehung anderer Prozessakten versäumt, in denen der Kl. als Anspruchsteller aufgetreten sei, hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird gem. § 564 S. 1 ZPO abgesehen.

bb) Ebenso geht der Einwand der Revision fehl, es sei zulasten des Kl. zu berücksichtigen, dass er für die Gegenstände, auf die er geboten habe, in ihrer Vielzahl keine tatsächliche Verwendung und daher kein erkennbares Interesse an ihrem Erwerb gehabt habe. Rechtsfehlerfrei hat das BerGer. insoweit festgestellt, dass es unerheblich ist, wofür der Kl. die angebotenen Waren, die er für einen weit unter dem Marktpreis liegenden Preis erwerben wollte, zu verwenden beabsichtigte. Ob der Kl. den Radsatz für sich selbst oder einen Dritten erwerben, weiterverschenken oder – mit Gewinn – weiterveräußern wollte, lässt als bloßes Kaufmotiv keine tragfähigen Rückschlüsse auf eine fehlende Erwerbsabsicht des Kl. zu.

 

cc) Schließlich bleibt auch der Verweis der Revision auf den in einem obiter dictum des Senats (NJW 2017, 487 = WM 2016, 2145 Rn. 13) bejahten Rechtsmissbrauch in einem Fall, in welchem das dortige Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch eines „Abbruchjägers“ wegen rechtsmissbräuchlichen Bieterverhaltens verneint hatte (LG Görlitz, Urt. v. 8.7.2015 – 2 S 213/14, BeckRS 2016, 8624), ohne Erfolg. Jenes Berufungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass seinerzeit neben dem Mitbieten bei einer Vielzahl von Auktionen zusätzliche besonders zu missbilligende Umstände im Verhalten des damaligen Bieters hinzutraten. So hat dieser Bieter bei einer nachfolgenden, ihm bekannt gewordenen Auktion über denselben Gegenstand nicht mitgeboten, seine (vermeintlichen) Ansprüche an einen Zeugen abgetreten und dieser seinen Schadensersatzanspruch anschließend erst sehr spät gerichtlich geltend gemacht, als er davon ausgehen konnte, dass der Gegenstand bereits an einen Dritten veräußert worden war. Diese Besonderheiten liegen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Denn anders als in dem dem vorgenannten Senatsurteil zugrunde liegenden Fall, in dem der dortige Käufer davon ausgehen konnte, dass der Verkäufer lange Zeit nach der Auktion den angebotenen Gegenstand anderweitig veräußert hatte und er deshalb Schadensersatz statt der Leistung geltend machen konnte, schied hier eine zwischenzeitliche anderweitige Veräußerung des angebotenen Radsatzes bereits deshalb aus, weil der Bekl. einen Diebstahl des Radsatzes geltend gemacht hatte. Damit war auch eine anderweitige, etwa schutzwürdige Disposition des Bekl. im Vertrauen auf das Ausbleiben (weiterer) Forderungen im hier vorliegenden Fall zwischen erstmaliger Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs und einer gerichtlichen Durchsetzung in einem Zeitraum von über zwei Jahren nicht berührt.

dd) Die Revision sieht zwar ein maßgebliches Indiz für ein Vorgehen des Kl. als „Abbruchjäger“ darin, dass er in den Jahren 2013/2014 also in einem deutlich nach der Internet-Auktion vom März/April des Jahres 2012 liegenden Zeitraum – in einer sehr großen Anzahl von Auktionen mit einem außergewöhnlich hohen Gesamtbetrag der insgesamt abgegebenen Gebote (etwa 14.000 Auktionen mit einem Gesamtbetrag von mehr als 52 Mio. Euro) teilgenommen und nach seinen im Jahr 2014 selbst gemachten Angaben in etwa 100 Fällen Schadensersatzansprüche geltend gemacht hat. Dies hat das BerGer. hier jedoch rechtsfehlerfrei – auch im Hinblick auf die sonstigen Indizien in der Gesamtschau aller Umstände – nicht für ausschlaggebend erachtet, weil das spätere Verhalten des Kl. keine Rückschlüsse auf eine etwa fehlende Erwerbsabsicht im Zeitpunkt der Internet-Auktion im vorliegenden Fall zulässt, zumal der Kl. die von ihm ersteigerten Gegenstände jeweils abgenommen hat."

 

Anmerkung:

Erfreulicherweise bejaht der BGH einen Rechtsmissbrauch nur im Ausnahmefall: Die Absicht des Bieters darf nicht auf den Erfolg des Vertrags, sondern muss auf dessen Scheitern gerichtet sein. Die Bietertätigkeit darf nicht auf den Erwerb des angebotenen Gegenstands, sondern auf den Abbruch der Auktion zielen, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Dergleichen ist vorstellbar, wenn der Bieter einen geschäftlich unerfahrenen Verkäufer zur Einstellung der Auktion überredet oder Boykottaufrufe bzw. Bieterkartelle gegen den Verkäufer organisiert. Das großzügigere obiter dictum aus dem Jahr 2016 (BGH, NJW 2017, 487 Rn. 13) ist damit weitestgehend vom Tisch.

 

 

 

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