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Haftungsrecht: Verkehrssicherungspflichten beim Betrieb von Kletterhallen

OLG Stuttgart, Urteil vom 17.03.2020, Az.: 6 U 194/18

Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat die Klage eines Verletzten gegen die einen anderen Kletterer sichernde Beklagte abgewiesen und zugleich seine Klage gegen die Betreibergesellschaft der Kletteranlage dem Grunde nach zu 75 % für berechtigt erklärt.

 

 

Sachverhalt: 

Im Oktober 2011 ereignete sich in einem Durchgangsbereich zwischen zwei Kletterhallen ein Unfall. In diesem ca. 2,80 m breiten und ca. 8 m langen Durchgang befanden sich damals (die Situation ist heute eine andere) an beiden Seitenwänden Klettervorrichtungen, auf der einen Seite zum Seil-Klettern, auf der anderen Seite insbesondere für Kinder und Jugendliche zum Bouldern. Der damals 36 Jahre alte Kläger, der zum Unfallzeitpunkt selbst weder kletterte noch sicherte, wurde durch einen herabstürzenden Kletterer getroffen; er erlitt u.a. mehrfache Frakturen der Wirbelsäule und ist seither querschnittsgelähmt. Der Kläger hat deswegen den herabstürzenden Kletterer und die diesen mit Seil und Sicherungsgerät sichernde Frau sowie die Betriebsführerin der Kletteranlage beim Landgericht Stuttgart auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt mehr als 600.000 € verklagt.

 

Das Landgericht hat die streitigen Fragen der Höhe der Ansprüche zurückgestellt und in einem sehr aufwändigen Verfahren mit Zeugen und mehreren Sachverständigen zunächst nur über die Haftung dem Grunde nach entschieden. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass gegen den kletternden Mann kein Anspruch bestehe. Insoweit hat der Kläger das Urteil des Landgerichts akzeptiert. Dagegen greift er mit seiner Berufung das erstinstanzliche Urteil an, wonach die Betriebsführerin der Kletteranlage ihm gegenüber nicht hafte. Umgekehrt greift die damals sichernde Frau das Urteil des Landgerichts, wonach sie dem Kläger zu 100 % hafte, mit ihrer Berufung an.

 

Entscheidung:

Beide Berufungen hatten (teilweise) Erfolg.

 

Dem Kläger ist es nicht gelungen, ein fahrlässiges Fehlverhalten der sichernden Frau zu beweisen. Dass die beklagte Frau – die sich in erster Linie auf den Kletterer zu konzentrieren hatte – erkannte, dass der Kläger im Sturzbereich stand, war im vorliegenden Fall nicht festzustellen. Dazuhin ist der Senat nach einer detaillierten Befragung des Sachverständigen nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte einen Sicherungsfehler begangen hat. Nach den nachvollziehbaren und das Gericht überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ist nämlich nicht auszuschließen, dass es durch eine Verkettung unglücklicher, der Beklagten nicht im Sinne einer Fahrlässigkeit vorzuwerfender Umstände zu dem bodennahen Sturz des Kletterers kam. Der Senat hat insoweit auch festgestellt, dass eine nähere Aufklärung, etwa durch ein weiteres Sachverständigengutachten, nicht möglich ist.

 

In Übereinstimmung mit dem Urteil des Landgerichts hat das Oberlandesgericht im Berufungsverfahren entschieden, dass die Betriebsführergesellschaft durch die damalige Anlage von zahlreichen Kletter- und Boulderrouten in dem relativ engen und häufig stark frequentierten Durchgang zwischen zwei Kletterhallen ihre Verkehrssicherungspflicht fahrlässig verletzt hat, weil es für deren verantwortliche Mitarbeiter vorhersehbar und vermeidbar war, dass durch die räumliche Enge in dem Durchgangsbereich Personen viel häufiger als an anderen Stellen der Anlage in den Sturzraum von Kletterern geraten. Der Berufungssenat ist jedoch der Rechtsauffassung des Landgerichts nicht gefolgt, die von der Betriebsführerin geschaffene räumliche Situation in dem Durchgangsbereich sei für den Unfall nicht ursächlich. Die – wie der Unfall zeigt, unzutreffende – damalige Meinung des Klägers, er befinde sich von der Kletterwand aus gesehen hinter der Sichernden niemals im gefährlichen Sturzraum des Kletterers, gibt keinen Anlass zu unterstellen, der Kläger hätte sich auch dann nicht weiter von der Gefahrenzone entfernt, wenn dies räumlich möglich gewesen wäre. Allerdings ist das Oberlandesgericht davon überzeugt, dass auch der Kläger, selbst ein Kletterer, die Gefahrensituation hätte erkennen und vermeiden können und dass ihn deswegen ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. In Abwägung der Verursachungsbeiträge der Betreibergesellschaft und des Klägers sieht der Senat in seinem Grundurteil die überwiegende Haftung bei der Betriebsführerin der Kletteranlage, so dass das Mitverschulden des Klägers lediglich mit 25 % zu bewerten ist.

 

In einem zweiten Schritt wird nun auf der Basis dieser Quote über die Höhe der Ansprüche des Klägers gegen die Betriebsführergesellschaft Beweis zu erheben und zu entscheiden sein.

 

Anmerkung: 

Die Entscheidung gibt Anlass sich wieder einmal mit der Haftung aus Delikt und aus Schutzpflichtverletzungen zu beschäftigen. Eine deliktische Haftung der Sichernden aus § 823 Abs. 1 BGB scheidet nach Auffassung des OLG aus, da ihr kein fahrlässiges Fehlverhalten nachzuweisen sei. 

 

Eine Einstandpflicht der Betreibergesellschaft  bejaht das OLG hingegen aus § 823 Abs. 1 BGB, weil diese ihre Verkehrssicherungspflichten nicht beachtet habe. Daneben kommt noch eine Haftung der Betreibergesellschaft aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Betracht. Aus dem Nutzungsvertrag bestehen gegenüber dem geschädigten Kläger ebenfalls Pflichten zum Schutz dessen körperlicher und gesundheitlicher Integrität.  

 

Eine Zurechnung etwaigen Fehlverhaltens der Sichernden oder des Kletternden an die Betreibergesellschaft über § 278 oder § 831 BGB scheidet aus. Diese Personen sich weder Erfüllung- noch Verrichtungsgehilfen der Betreibergesellschaft. 

 

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