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Widerrufsrecht bei individuell gefertigten Treppenliften

BGH, Urt. v. 19.10.2021, Az. I ZR 96/20

Sachkonstellation:

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hatte die Beklagte Treppenlifthersteller auf Unterlassung verklagt. Die Beklagte vertreibt Treppenlifte in verschiedenen Varianten. Ist die Treppe gerade, so kann ein gerader Lift erwor- ben werden. Der Modularlift besteht aus zusammengesetzten, als Standardbauteile gelieferten Schienen (Modulen), mit denen auch um eine Kurve gebaut werden kann, so dass dieses System auch für kurvenförmig verlaufende Treppen geeignet ist. Eine weitere Variante, der Kurventreppenlift, umfährt mit individuell angefertigten Schienen Kurven im Treppenhaus. Die Klägerin sah einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, weil ihrer Auffassung nach ein Widerrufsrecht auch bei individuell gefertigten Treppenliften besteht, das die Beklagte den Verbraucherinnen und Verbrauchern aber nicht gewährte.

 

Das OLG Köln als Vorinstanz war der Auffassung, dass das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen sei. Nach dieser Norm besteht kein Widerrufsrecht, wenn es sich um einen Vertrag zur Lieferung von Waren handelt, die nicht vorgefertigt sind und individuell auf die Bedürfnisse der Vertragspartnerin oder des -partners angepasst werden müssen.

 

Entscheidung:

 

Der BGH stellte zunächst klar, dass der Widerrufsausschluss nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB lediglich Kauf- und Werklieferungsverträge umfasst, nicht aber Werkverträge. Der verwendete Begriff der "Verträge zur Lieferung von Waren" sei mit Blick auf seinen europäischen Ursprung (europäische Verbraucherrechtrichtlinie) dahingehend auszulegen, dass dazu Kaufverträge (§ 433 BGB) und Werklieferungsverträge (§ 650 BGB) nicht aber Dienstverträge (§ 611 BGB) noch –  im Regelfall –  Werkverträge (§ 631 BGB) zählen.

 

Genau um einen solchen aber handele es sich aber bei den Treppenliftveerträgen, denn der Schwerpunkt des Vertrages liege in bei diesen in  der "Herstellung eines funktionstauglichen Werks". Auch der betriebene Aufwand, alles individuell an die Anforderungen des in diesem Fall betroffenen Kundens anzupassen, spreche für einen solchen. Im Fokus des Vertrages stehe nämlich nicht die Übereignung des Liftes, sondern der Einbau der Treppenliftanlage als funktionsfähige Einheit. Die Lieferung der Einzelteile sei dabei zwar ein notweniger Zwischenschritt, stehe aber nicht im Vordergrund des Vetrages. Der Ausschluss nach § 312g Abs. 2 Nr. BGB greife nicht, so dass dem Kunden ein Widerrufsrecht zustünde.

 

Einordnung:

Der Ausnahmetatbestand des § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB hat zwei Voraussetzungen, wobei der BGH hier bereits das Vorliegen der ersten verneint hat, nämlich einen Vertrag zur Lieferung von Waren. Für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einerseits und Werkverträgen andererseits kommt es bei der gebotenen Gesamtbetrachtung darauf an, auf welcher der Leistungen der Schwerpunkt liegt. Je mehr die Übertragung von Eigentum und Besitz der zu liefernden Sache im Vordergrund steht und je weniger individuelle Anforderungen und die Montage- und Bauleistung das Vertragsverhältnis prägen, desto eher ist ein Kauf- oder Werklieferungsvertrag anzunehmen. Liegt der Schwerpunkt bei der Herstellung eines funktionstauglichen Werks dagegen auf der Montage- und Bauleistung, etwa auf Einbau und Einpassung einer Sache in die Räumlichkeit, und dem damit verbundenen individuellen Erfolg, liegt ein Werkvertrag vor.

 

Der Werkunternehmer ist über § 357 Abs. 7 BGB (Pflicht des Verbrauchers zum Wertersatz) geschützt. Außerdem beginnt die Widerrufsfrist bei Dienstleistungsverträgen im Sinne der Richtlinie mit dem Tag des Vertragsabschlusses (§ 355 Abs. 2 BGB), sodass der Unternehmer sich vor Verlusten dadurch schützen kann, dass er mit der Leistungserbringung erst nach Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Handelt es sich um einen Verbraucherbauvertrag, greift anstelle von § 312 g Abs. 1 BGB (§ 312 Abs.  2 Nr. 3 BGB) das Widerrufsrecht nach § 650 Abs. 1 BGB.

 

 

Erst wenn ein Vertrag zur Lieferung von Waren vorliegt, ist weiter zu prüfen, ob die Ware nach Kundenspezifikation zu liefern ist (z.B. bei Maßkleidung oder einem individuell zusammengestellten Gaming-PC). Ob das Widerrufsrecht in diesen Fällen entfällt, hängt vom Grad der Individualisierung ab. Das Widerrufsrecht entfällt nur dann, wenn die Ware so individualisiert wurde, dass diese nach der Rücknahme nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten absetzbar und damit für den Unternehmer wirtschaftlich wertlos ist. 

 

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