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Rücktritt wegen Sachmangels bei einem Sportpferd

BGH, Urt. v. 27.05.2020 – VIII ZR 315/18

Sachverhalt (etwas vereinfacht):

 

K erwarb am 05.10.2018 von der B, einer Pferdehändlerin mit eigenem Gestüt, einen fünf Jahre alten Wallach für 31.700 € zur privaten Nutzung als Sportpferd. Mit Schreiben vom 16.03.2020 erklärte K den Rücktritt vom Kaufvertrag wegen gravierender Rittigkeitsprobleme des Wallachs. Das Pferd habe insbesondere die Widersetzlichkeiten des Blockens und Blockierens gezeigt. K geht davon aus, dass diese gezeigten „Rittigkeitsmängel“ auf verengten Dornfortsätzen der Wirbelsäule (Kissing Spines) beruhen.

 

Aufgrund eines Sachverständigengutachten steht fest, dass das Pferd tatsächlich schon bei Übergabe an K einen Kissing-Spines-Befund aufwies. Ein Kissing-Spines-Befund muss nicht mit Krankheitserscheinungen verbunden sein und ist daher von einem (pathologischen) Kissing-Spines-Syndrom zu unterscheiden. Kissing Spines können grundsätzlich zu Rittigkeitsproblemen führen. Ob die Rittigkeitsprobleme, die der Wallach unstreitig schon wenige Wochen nach Übergabe an K zeigte, auf dem Kissing-Spines-Befund beruhen, ist nach dem Sachverständigengutachten jedoch unklar. Nach dem Gutachten steht allerdings fest, dass bei dem konkreten Kissing-Spines-Befund des Wallachs das Risiko des Auftretens klinischer Erscheinungen in unbestimmter Zeit bei einer Häufigkeit von 21 % bis 50 % liegt. Bisher hat der Wallach indes noch keine dieser Erscheinungen gezeigt.

 

K ist der Ansicht, dass es sich bei den Rittigskeitsproblemen um Mangelerscheinungen handele und ferner nicht sicher feststehen müsse, ob diese „Rittigkeitsmängel“ auf die Kissing Spines zurückzuführen sind, weil der Käufer nur den Nachweis einer Mangelerscheinung – also eines mangelhaften Zustands – zu erbringen habe, der – unterstellt, er beruhe auf einer dem Verkäufer zuzurechnenden Ursache – dessen Haftung wegen einer Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde.

 

Zwar begründe das Phänomen der Kissing Spines für sich genommen keinen mangelhaften Zustand. Auch möge die Vermutung des § 477 BGB unter Umständen bei bloßen „Rittigkeitsmängeln“ nicht anwendbar sein. In der Kombination von „Rittigkeitsmängeln“ mit einem erwiesenen Kissing-Spines-Befund liege aber eine Mangelerscheinung, welche die Vermutungswirkung des § 477 BGB auslöse.

 

Das Vorliegen von Kissing Spines bei Gefahrübergang stehe nämlich fest und es sei auch bewiesen, dass innerhalb des Sechsmonatszeitraums Erscheinun- gen aufgetreten sind, die als Symptome von Kissing Spines in Betracht kämen. In Anbetracht dessen erscheine es interessengerecht und entspreche dem verbraucherschützenden Gesetzeszweck, dem Verkäufer die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass die Rittigkeitsprobleme nicht auf dem Engstand der Dornfortsätze, sondern auf einer anderen, dem Verkäufer nicht zurechenbaren Ursache beruhten. 

 

 

Leitsätze der Entscheidung:

 

 

1. Der Verkäufer eines Tieres hat, sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird, (lediglich) dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich auch nicht in einem (ebenfalls vertragswidrigen) Zustand befindet, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird und infolgedessen für die gewöhnliche (oder die vertraglich vorausgesetzte) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre. Demgemäß wird die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes für die gewöhnliche oder die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen von der „physiologischen Norm“ eine (lediglich) geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die sei- ner Verwendung als Reitpferd entgegen- stehen.

 

2. Diese Grundsätze gelten auch für ein vom Idealzustand abweichendes Verhalten, wie etwa sog. Rittigkeitsprobleme, wenn das Pferd nicht oder nicht optimal mit dem Reiter harmoniert und Widersetzlichkeiten zeigt. Entspricht die Rittigkeit eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer – wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen – grundsätzlich nur der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist.

 

3. Rittigkeitsprobleme durch von einem Reitpferd gezeigte Widersetzlichkeiten sind keine Mangelerscheinung, sodass sie die Vermutungswirkung des § 477 BGB nicht auslösen.

 

 

Einordnung und Bewertung:

Im Originalfall wurde der Wallach auf einer Versteigerung verkauft, was eine vertiefte Prüfung des § 474 Abs. 2 S. 2 BGB erfordern kann. Dabei könnte man in einer Examensklausur das Problem aufwerfen, inwiefern ein Pferd eine „gebrauchte Sache“ sein kann (vgl. dazu Urt. v. 09.10.2019, Az. VIII ZR 240/18).

 

Problematisch ist ferner, dass die Käuferin vor der Rücktrittserklärung keine Nacherfüllung verlangt hat. Bejaht man also (wie das OLG Oldenburg als Vorinstanz) einen Sachmangel, wird die Voraussetzung der grundsätzlich erforderlichen Fristsetzung (§ 323 Abs. 1 BGB) virulent. Nach § 326 Abs. 5 BGB ist eine Fristsetzung nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn dem Verkäufer beide Varianten der Nacherfüllung gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich sind. Demnach müsste der Verkäufer den Sachmangel des Pferdes weder durch Nachbesserung noch durch Nachlieferung beheben können. Hinsichtlich der Nachlieferungsvariante ist zu beachten, dass beim Tierkauf grundsätzlich erst der bei der persönlichen Besichtigung gewonnene Gesamteindruck des individuellen Tieres ausschlaggebend für den Entschluss ist, das konkrete Tier zu kaufen, sodass angesichts der vielfältigen Unterschiede hinsichtlich Wesen und besonderer Eigenschaften die Lieferung eines anderen Tieres regelmäßig nicht dem Parteiwillen entspricht.

 

Außerdem kam in Originalfall die Problematik hinzu, dass das Pferd zwar bei Übergabe, aber nicht mehr im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung, Rittig- keitsprobleme zeigte. Ein wirksamer Rücktritt setzt jedoch voraus, dass ein bei Gefahrübergang gegebener Sachmangel im Zeitpunkt der Erklärung fortwirkt. Der BGH musste sich damit nicht weiter beschäftigen, da er bereits einen Sachmangel verneinte.

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